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Das Hirn ist nicht für Geld gemacht

Unser Hirn ist nicht fürs Geld geschaffen, geschweige denn dafür, an der Börse klug zu handeln. «Neurofinanz» ist eine interdisziplinäre Forschungsrichtung, die untersucht, wie wir mit Finanzen umgehen.

Der Mensch ist ein Gefühlswesen, durch und durch. Selbst der nüchternste Realist, so haben Wissenschaftler um den amerikanischen Moralpsychologen Jonathan Haidt in Hunderten von Versuchen an weltweit mehr als hunderttausend Probanden herausgefunden, wird von Emotionen beherrscht. Politische Überzeugungen etwa werden laut den Forschern von sechs Grundprinzipien bestimmt: Fürsorge, Freiheit und Fairness, Loyalität, Autorität und Ekel. Diese Prinzipien sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgestaltet, doch ob konservativ oder liberal: Die Grundlinien unseres politischen Denkens bestimmt nicht Analyse, sondern Emotion.

«Gier frisst Hirn» heisst es auch an der Börse, wenn die Jagd auf Gewinn einen Anleger auf verlustreiche Abwege geführt hat. Unser archaisches Hirn kommt mit der modernen Erfindung namens Geld nur schlecht zurande. Weshalb das so ist und zu welchen Anlageentscheidungen uns das führt, untersucht das Gebiet der «Neurofinanz», in dem sich Forscher aus Verhaltensökonomie, Hirnforschung und Psychologie zusammenfinden.

Unser Hirn besitzt kein Areal für den Umgang mit Geld, wohl aber über Zentren für die Verarbeitung von Furcht, Zorn, Freude, Trauer, Vertrauen, Ekel, Überraschung oder Neugier. Es zeigt sich, dass die Prozesse, die am Ende zu Finanzentscheiden führen, nur unmassgeblich im präfrontalen Cortex ablaufen, der für das verstandesmässige Überlegen und das Regulieren der Gefühle zuständig wäre, sondern viel stärker im limbischen System, dem Verarbeitungszentrum von Triebhaftigkeit und Emotion. Kontostand und Börsenkurs werden unmittelbar übersetzt: Gewinn in Glück, Verlust in Schmerz. Unser Hirn ist dabei nicht in der Lage, einen Kursverlust von einem verstauchten Fuss zu unterscheiden: Was weh tut, tut weh. Die Abwehrstrategien der Urzeit, Kampf oder Flucht, übernehmen die Kontrolle. Der präfrontale Cortex wird unterversorgt, nüchternes Abwägen kommt zu kurz.

Der Grad der Emotion wird dabei durchaus abgestuft: Ist der Verlust nicht bedrohlich, machen sich Frustration und Ärger breit. Das Programm «Kampf» führt zu einem erbosten Anruf beim Anlageberater, und der Titel wird aus Wut verkauft. Die Prozedur «Flucht» dagegen ist Abwiegeln: Mal geht’s eben bergauf, mal bergab; am besten gar nicht hinsehen. Wartet der Anleger dann zu lange ab und wird der Verlust tatsächlich existenziell, beginnt die Nebennierenrinde das Stresshormon Cortisol auszuschütten, das Hirn fällt in den Panikmodus – und Panik ist die Mutter aller Börsencrashs. Selbst das Gegenteil des Verlusts ist ein Feind des Verstandes: Registriert das Hirn einen Gewinn, will es ihn haben, und zwar hier und jetzt. Das Belohnungszentrum namens Nucleus accumbens wird aktiviert, und der Verkauf des High-Flyers ist Tatsache.

Deshalb, so sagen Neurofinanzforscher, verdient der durchschnittliche Anleger auch kein Geld: Unser steinzeitliches Hirn ist mit der Komplexität der Börse überfordert, und wenn’s drauf ankommt, regiert nicht der Kopf, sondern der Bauch.