Geld ist neutral: Eine Änderung der Geldmenge, sagt die Wissenschaft, hat keinen Einfluss auf Konsum, Produktion oder Beschäftigung. Bloss: Manchmal tut sie das eben doch. Rückblende.
Das Inntaler Dorf Wörgl im Sommer 1932. Die Schockwellen des New Yorker Börsencrashs vom 24. Oktober 1929 treffen mit Macht auf die Tiroler Wirtschaft. Die in Wörgl ansässige Zement- und Zellulosefabrikation geht stark zurück, Arbeiter werden entlassen. Die Gemeinde leidet unter sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Arbeitslosenkosten, und in seiner Not greift Bürgermeister Michael Unterguggenberger zu einem gewagten Mittel: Um die Gemeindeangestellten zu bezahlen, lässt er sogenannte «Arbeitswertscheine» drucken. Die Scheine sind sogenanntes «Schwundgeld»: Sie werden zwar überall im Dorf in Zahlung genommen, doch damit sie ihren Wert behalten, müssen Monat für Monat «Notabgabe»-Marken in der Höhe eines Prozents aufgeklebt werden. Weil sich Sparen nicht nur nicht lohnt, sondern auf einmal Geld kostet, bringen Bürger, Händler und Betriebe die Scheine rasch wieder in Umlauf. Die monatliche Markengebühr ist ein Segen für die Gemeindekasse, und der stark beschleunigte Geldumlauf bringt die Wörgler Lokalwirtschaft in Schwung.
Das ist erstaunlich, denn in den Augen der Makroökonomen ist Geld nämlich «neutral»: Änderungen der Geldmenge – wie die monatliche 1-Prozent-Kapitalsteuer in Wörgl – haben nach gängiger Lehrmeinung keinen Einfluss auf reale Grössen wie Konsum, Produktion oder Beschäftigung, sondern nur auf die Preise und Löhne. Die «Theorie realer Konjunkturzyklen» besagt, dass sich zwischen Löhnen und Preisen auf der einen und dem Angebot an Gütern und Dienstleistungen auf der anderen Seite stets ein Gleichgewicht einstellt. Eine Ausdehnung der Geldmenge führt dazu, dass sich die Wirtschaft rasch auf die leichtere Verfügbarkeit von Geld einstellt, ohne dass sich an der Realwirtschaft etwas ändert. Mit anderen Worten: Weil sich Preise und Löhne rasch anpassen, hat ein Wellenschlag im monetären Sektor kaum ein Schaukeln des realen Sektors zur Folge. Was die «Neutralität des Geldes» angeht – zumindest auf lange Frist –, ist sich die Wissenschaft ziemlich einig.
Kurzfristig dagegen können Geldmengenänderungen durchaus realwirtschaftliche Verwerfungen zur Folge haben. Ein besonders drastisches Beispiel sind Hyperinflationen wie jene in Deutschland zwischen 1919 und 1923. Sie dauern meist nur kurze Zeit und lassen sich am Ende nur noch mit einer Währungsreform beenden – nach monatlichen Inflationsraten von über 30 000 Prozent (einer Vervierfachung der Preise pro Woche) wurden in Deutschland die alten Geldscheine am 15. November 1923 zu wertstabilem Notgeld erklärt und in den folgenden Monaten umgetauscht – zum Kurs 1 000 000 000 000 (1 Billion) Mark = 1 Rentenmark, aus der später die (wertgleiche) Reichsmark werden sollte.
Auch das Geldexperiment von Wörgl war nur von kurzer Dauer, wenngleich aus gänzlich anderem Grund. Zwar war dem Versuch einiger Erfolg beschieden: Die Arbeitslosigkeit sank von 21 auf 15 Prozent, die Gemeindesteuern stiegen um ein volles Drittel, und Wörgls Wirtschaft kam erstaunlich gut durch die Krise. Die Österreichische Nationalbank aber machte ihr alleiniges Recht auf die Ausgabe von Noten und Münzen geltend, liess die Freigeld-Aktion gerichtlich verbieten und drohte am Ende gar mit einem Einsatz der Armee. Und so setzte das Tiroler Dorf im September 1933 seinem «Wunder von Wörgl» genannten Experiment selbst ein Ende.