Geld allein macht nicht glücklich, sagt das Sprichwort. Menschen dagegen sagen etwas anderes: Geld macht doch glücklich, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Und den haben Forscher nun ermittelt.
Wieviel Geld braucht der Mensch, um glücklich zu sein? Die Frage ist so alt wie das Geld selbst. Die offensichtliche Antwort: Viel Geld ist gut, mehr Geld ist besser. Das werden sich auch die reichsten fünf Prozent der Menschen sagen, die 2019 laut einer Studie der Credit Suisse mehr als 70 Prozent allen Reichtums der Welt besassen, und ganz besondere dieses eine Prozent, das volle 45 Prozent aller weltweiten Finanzwerte auf sich vereint.
Geld macht glücklich, mehr Geld macht noch glücklicher? Steigt das Glück tatsächlich proportional zum Einkommen? Oder gibt es einen Punkt, an dem mehr Geld nicht mehr zu grösserem Wohlbefinden führt? Der Psychologe Daniel Kahneman und der Ökonom Angus Deaton hatten schon 2010 festgestellt, dass ein höheres Einkommen zwar eine höhere grundsätzliche Lebenszufriedenheit hervorruft, aber jenseits einer bestimmten Grenze (die sie für die USA bei einem Jahreseinkommen von 75 000 Dollar vermuteten) ein tieferes subjektives Glücksempfinden zur Folge hat. Die amerikanischen Psychologen Andrew T. Jebb und Louis Tay von der amerikanischen Purdue University, Indiana, und ihre Kollegen Ed Diener und Shigehiro Oishi und der University of Virginia wollten es nun ganz genau wissen. Sie analysierten eine Flut von Daten des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup aus den Jahren 2005-2016, das in diesem Zeitraum mehr als 1,7 Millionen Menschen in 164 Ländern der Welt befragt hatte.
Das Ergebnis der Studie war eine Überraschung. Zwar gaben Menschen in reicheren Ländern erwartungsgemäss an, mehr Geld für «subjektives Wohlbefinden» zu benötigen als Befragte in ärmeren Regionen. Aber: In allen Weltengegenden waren die Befragten der Ansicht, dass es eine Art Idealeinkommen gibt, eine Grenze, jenseits der sie einen Rückgang der Lebensqualität vermuten. Im weltweiten Durchschnitt liegt diese ideale Einkommenshöhe bei 95 000 Dollar pro Jahr, wenn man die Erfüllung aller denkbaren Wünsche im Blick hat, und zwischen 60 000 und 75 000 Dollar, wenn es um «subjektives Wohlbefinden» geht, um das Empfinden von Glück im alltäglichen Leben. In Westeuropa lagen diese Werte bei 100 000 bzw. bei 50 000 Dollar. Die Summen beziehen sich auf ein Einzeljahresgehalt; «wenn es um Familien geht, liegen diese Werte entsprechend höher», ergänzt Studienautor Jebb.
Betrachtet man die USA allein, lagen die Zahlen noch etwas höher: Die Glücksgrenze lag hier bei einem Jahreseinkommen von 105 000 Dollar; die Alltagsgrenze bei 85 000 Dollar. Dieser vermutete Glückspreis steht in einem scharfen Gegensatz zur wirtschaftlichen Realität: Das Mediangehalt in den USA betrug Ende 2019 45 646 Dollar. Bei näherer Betrachtung stellten die Forscher indessen bemerkenswerte Unterschiede fest: Glück scheint im weltweiten Mittel für Männer (90 000 Dollar) etwas günstiger zu haben als für Frauen (100 000 Dollar) – und für Menschen mit tiefer Bildung (70 000 Dollar) billiger als für solche mit mittlerer (85 000 Dollar) oder höherer Bildung (115 000 Dollar).
Glück, so fassen Jebb und seine Kollegen zusammen, erfordert im Bewusstsein der Menschen einen Sockel an materieller Sicherheit. Dieser Preis des Glücks ist zwar in unterschiedlichen Weltengegenden unterschiedlich hoch, und er ist abhängig von Faktoren wie Bildung, Geschlecht und sozialem Wettbewerb. Aber überall auf der Welt vermuten die Menschen eine Einkommensgrenze, die, wenn sie überschritten wird, das individuelle Glücksempfinden nicht nur nicht weiter steigert, sondern sogar senkt.
Warum vermuten Menschen bei überhohen Einkommen einen Glücksverlust? Weshalb senkt finanzieller Überfluss die Lebensqualität? Reichtum kommt nicht von selbst, sondern will in der Regel hart erarbeitet werden. Dazu kommt, dass grösserer Wohlstand das Streben nach noch mehr Geld antreibt. Eine grössere Familie, das Leben in einem teureren Viertel, der Erwerb von Statussymbolen – all das ist nur möglich durch längere und härtere Arbeit, die Übernahme von mehr Verantwortung. Ein Übermass an Wohlstand, so fassen Jebb und seine Mitautoren zusammen, führt für gewöhnlich zu einem Teufelskreis: Höhere Ansprüche nehmen mehr Zeit in Anspruch und schränken positive Freizeiterlebnisse ein, fördern materialistische Werte und heizen den sozialen Wettbewerb an, was wiederum noch höhere und irgendwann unerfüllbare Wünsche zur Folge hat. Die negativen Auswirkungen übermässigen Wohlstandes, so vermuten die Forscher, treten nicht erst dann zutage, wenn das höchstes Einkommen erreicht ist, sondern vermutlich schon viel früher, dann nämlich, wenn die Menschen ihr ganzes Streben auf die Vermehrung ihres Reichtums richten.
Übermässiger Luxus bedeutet nicht übermässiges Glück: Das war schon den beiden Wirtschaftsnobelpreisträgern Daniel Kahneman und Angus Deaton klar. Den Grund dafür sahen sie, ganz einfach, in der zur Verfügung stehenden Lebenszeit: «Es gibt eine Einkommensgrenze, jenseits der Geld nicht mehr das ermöglicht, was für unser Glücksempfinden am allerwichtigsten ist: Zeit mit Menschen zu verbringen, die wir lieben; Pein, Belastung oder Krankheit zu entgehen, Freizeit und Hobbys zu geniessen – und ganz einfach die kleinen Freuden des Lebens.»
Was die Wissenschaft in aufwändigen Berechnungen ermittelt, hat das alte Sprichwort im Grunde immer schon gewusst: Ohne Geld ist zwar alles nichts, aber: Geld ist nicht alles.