Winston Churchill war ein begeisterter Investor und Spekulant – einer, der höchste Höhen erklomm. Und in tiefste Tiefen stürzte.
Winston Churchill ist der grösste britischer Staatsmann des 20. Jahrhunderts. Seine Laufbahn als Weltpolitiker ist das Ergebnis eisernen Gestaltungswillens – und Glück. Doch genau dieses sollte Churchill nicht überall beschieden sein. «Das einzige, was mir Sorgen macht im Leben, ist das Geld», hatte er 1898 zu seinem Bruder Jack gesagt. Tatsächlich blickte Churchill Anfang des Jahres 1929 finanziell schwierigen Zeiten entgegen. Am 30. Mai dieses Jahres erlitt die krisengeschüttelte Regierung von Premier Stanley Baldwin eine schwere Wahlniederlage. Auch Churchill, dessen Konto ein bedrohliches Minus von 8000 Pfund aufwies (auf heutige Verhältnisse umgerechnet weit über eine halbe Million Franken) und der nicht bezahlte Steuerrechnungen von weiteren 5000 Pfund auf dem Tisch liegen hatte, verlor seinen Posten als Schatzkanzler und stand vor dem Ruin.
Um seine Schriftstellerei – Churchill verfasste Zeitungsartikel und die Biografie eines seiner Vorfahren, des ersten Duke of Marlborough – anzukurbeln, plante er eine Promotionstour durch Kanada und die USA. Mit einem Vorschuss seines Verlags begann Churchill, an der Börse zu spekulieren – mit Erfolg: Erste Gewinne erlaubten die Tilgung seiner Steuerschuld, und im August bestieg er die «Empress of Australia», ein kanadisches Schiff, dessen Besitzer die Überfahrt im Tausch gegen vier Lesungen angeboten hatte.
Der erste Teil der Reise führte im ebenfalls zur Verfügung gestellten Luxusbahnwaggon quer durch Kanada. Churchill liess sich von den Möglichkeiten des Öl- und Gasgeschäfts begeistern; seinen Londoner Verleger bat er per Fernschreiben, einen nächsten Vorschuss direkt an seinen Broker zu überweisen. In Winnipeg angekommen, war Churchill bereits Besitzer von Aktienpaketen zweier kleiner Ölfirmen – allein durch Schreiben und Investieren, so schrieb er an Ehefrau Clementine, habe er bereits 6000 Pfund verdient, ohne dass ihn die Reise bisher etwas gekostet hätte.
Von Kanada aus ging die Reise nach San Francisco, wo Churchill mit weiteren Vorschüssen auf ungeschriebene Artikel und Bücher bei der Maklerfirma E. F. Hutton ein Konto über 20 000 Pfund eröffnete. Auch hier liess der Erfolg nicht auf sich warten: Nur Tage später, bei einem Mittagessen mit Charlie Chaplin auf dem Set von «City Lights» in Hollywood, prahlte Churchill damit, mit einem einzigen Deal 1000 Pfund Gewinn gemacht zu haben. «Es gibt eine Börsenvertretung quasi in jedem grossen Hotel», schrieb er an Clementine, «du kannst dich bloss hinsetzen und dabei zusehen, wie die Kurse, die sie auf Schiefertafeln notieren, alle paar Minuten steigen.»
Kühn geworden, liess Churchill seine Broker weiter und weiter investieren. Allmählich aber zogen Wolken auf. Ein Telegramm von E. F. Hutton am 1. Oktober liess Böses erahnen: «Markt wird schwierig. Liquidieren dringender.» Doch die Warnung stiess auf taube Ohren. Als Churchill New York erreichte, bewegten sich seine Handelsumsätze in sechsstelligen Pfundhöhen, was heutigen Frankenmillionen entspräche.
Am Donnerstag, 24. Oktober 1929, dem «Black Thursday», fiel die New Yorker Börse mit der Morgenglocke um 11 Prozent. Als prominenter Besucher war Churchill an diesem Tag Zeuge, wie sich die Banken mit massiven Stützkäufen gegen die Panik stemmten, so dass sich der Tagesverlust am Abend auf 2 Prozent verringerte. Anfänglich zutiefst erschrocken, fasste Churchill wieder Mut und investierte weitere 26 500 Pfund. Am Montagmorgen, 28. Oktober, erkannte er zum ersten Mal, dass der Wert seines Portfolios bei E. F. Hutton viel tiefer lag als vermutet. Per Telex fragte er nach, ob da ein Fehler vorliege; «Nein», lautete die die Antwort, derweil die Kurse erneut um 13 Prozent fielen.
Am Dienstag – Churchill hatte bereits die Rückreise nach England angetreten – zeichnete sich die Katastrophe in ihrem vollen Umfang ab. Während der Überfahrt brütete Churchill über den Kursen, die laufend per Schiffstelex eingingen. Die fielen von Stunde zu Stunde weiter, an diesem Tag um weitere 12 Prozent. Am Abend des 29. Oktober zeigte sich das wahre Ausmass seines persönlichen Debakels: Der Börsencrash sollte Churchill sage und schreibe 75 000 Pfund kosten. Auf dem Bahnsteig in London, wo Ehefrau Clementine ihn abholte, gestand er sein Fiasko ein: Sämtliche Verlagsvorschüsse auf Artikel und Bücher hatten sich in Luft aufgelöst, noch bevor er ein einziges Wort davon geschrieben hatte.