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Wertpapier zum Aufkleben

Wer von Papiergeld spricht, meint Banknoten – und vergisst dabei prompt deren kleine Schwestern, die Briefmarken. Die erste Marke der Welt kam aus Grossbritannien; schon die zweite aus der Schweiz.

In den 1830er-Jahren war das britische Postsystem behäbig und ineffizient geworden. Der Weg jedes Briefs wurde minutiös aufgezeichnet; das kompliziert errechnete Briefporto hing von der geografischen Distanz und von der Anzahl Briefbogen ab. Die Portokosten wurden nicht vom Schreiber, sondern vielmehr vom Adressaten entrichtet, doch der konnte den Empfang jederzeit ablehnen. Denn Briefe waren teuer: Wer in London lebte und von Verwandten in Edinburgh einen Brief bekam, bezahlte einen Schilling und einen Pence pro Bogen, mehr als ein durchschnittlicher Arbeiter pro Tag verdiente. Das führte dazu, dass auf dem Kuvert immer öfter versteckte Botschaften angebracht wurden – der Empfänger überflog den Umschlag, nahm die Information zur Kenntnis und wies anschliessend den Brief zurück.

Mindestens ein Achtel der gesamten britischen Post bestand aus offiziellen Schreiben zwischen Würdenträgern, Beamten und Parlamentariern; auch Zensur und politische Spionage war Sache der Post. Das gesamte System war schlecht verwaltet, teuer, korruptionsanfällig und langsam – die Post wurde für die Bedürfnisse einer modernen Handels- und Industrienation zunehmend unbrauchbar.

Es müsste doch möglich sein, überlegte der Lehrer und Kolonialbeamte Rowland Hill, das Postsystem mit einer distanzunabhängigen flat rate zu vereinfachen, mithilfe einer Art Quittung, direkt auf den Umschlag geklebt, um so dem gängigen Portobetrug einen Riegel zu schieben. Das Briefporto sollte im ganzen Königreich neu einen Penny pro Brief bis zu einem Gewicht von einer halben Unze (14 Gramm) betragen. 1837 wurden Hills revolutionäre Vorschläge unter dem Titel «Post Office Reform – its Importance and Practicability» in London gedruckt. Eine Kopie dieser Schrift, als «privat und vertraulich» markiert, liess Hill dem amtierenden Schatzkanzler Thomas Spring Rice zukommen. Der Minister erwies sich als aufmerksamer Leser. Er bestellte Hill zu einer Besprechung ein, hakte nach, schlug vor, und kurze Zeit später reichte Hill ein überarbeitetes Konzept nach. Drei Jahre später, 1840, wurde die grosse Postreform Gesetz, und Vordenker Hill trat in den Dienst der Post ein.

Blieb das Problem der Klebequittung. Als Beleg für die Vorauszahlung musste sie fälschungssicher sein, sich dank aufgebrachter Gummierung einfach aufkleben und mit einem Stempel unwiderruflich entwerten lassen. Die erste Briefmarke der Welt, die «Penny Black», wurde am 1. Mai 1840 ausgegeben. Sie ist, gemäss Hills Konzept, 19 mal 22 Millimeter klein, trägt die Aufschrift «Postage One Penny» und zeigt ein Porträt der damals 20-jährigen Königin Victoria auf schwarzem Grund mit aufwändigem Randlinienmuster. Mangels Perforation musste die «Penny Black» noch mit der Schere geschnitten werden.

Die britischen Briefmarken waren ein Erfolg, und schon drei Jahre später fand die Idee den Weg in die Schweiz. Der Zürcher Regierungsrat hatte eine «Vereinfachung der Posttaxen für Briefe des Kantons Zürich» beschlossen. Mit zwei Briefmarken, der «Zürich 4» und der «Zürich 6», sollten alle Tarife abgedeckt werden: Im Stadtgebiet galt die «Local-Taxe» von 4 Rappen; innerhalb des restlichen Kantons die «Cantonal-Taxe» von 6 Rappen. Einschreibebriefe mussten mit je einer zusätzlichen Marke frankiert werden.

Heute sind diese ersten Briefmarken der Welt ein kleines Vermögen wert. Eine ungestempelte «Penny Black» ist Sammlern, je nach Zustand, mehrere Tausend Pfund wert; eine sehr gut erhaltene «Zürich 4» oder «Zürich 6» kann ohne weiteres einen fünfstelligen Frankenbetrag kosten.