Zum Inhalt springen

Mit Mückengeld gegen die Plage

Um Mückenplagen vorzubeugen, darf ein wichtiger Stausee der SBB einen bestimmten Pegelstand nicht unterschreiten, damit sich die Blutsauger im Schlamm nicht unkontrolliert vermehren. Steht das Wasser zu tief, wird eine Geldstrafe fällig, das sogenannte «Mückengeld».

Eigentlich leben Stechmücken vegan. Doch obgleich sie von Nektar und anderen zuckerhaltigen Pflanzensäften leben, lässt ihre Beliebtheit zu wünschen übrig. Das liegt daran, dass die Mückenweibchen für die Bildung ihrer Eier auf Proteine angewiesen sind, die sie nur über das Blut gestochener Wirtstiere aufnehmen können. Männchen saugen kein Blut; ihre Stichwerkzeuge sind zurückgebildet, so dass sie damit nur Flüssigkeiten aufnehmen können.

Die sogenannten «Culicidae» sind staunenswerte Geschöpfe. Ihre Art ist zwanzigmal älter als die des Menschen; sie fliegen bis zu 2,5 Stundenkilometer schnell; und sie sind über die Massen robust: Stechmücken überleben selbst Temperaturen von –50 Grad, und Forscher des Georgia Institute of Technology haben herausgefunden, dass sie bei einem Platzregen sogar den Aufprall schwerer Regentropfen überstehen. Kurz vor ihrem Tod im Spätherbst befruchten die Stechmückenmännchen die Weibchen, die wiederum ihre Brut dort ablegen, wo sie die grössten Überlebenschancen hat, vorzugsweise in Schlamm und Morast.

Und genau der kann für Menschen leicht zum Problem werden. An Stauseen, deren Pegel bei hoher Wassernutzung sinkt, wird viel Schlamm freigelegt, und wo es viel Schlamm gibt, da steht im nächsten Jahr eine Mückenplage ins Haus. Als die Schweizerischen Bundesbahnen 1932 für die Bahnstromproduktion die Sihl mit einer 124 Meter langen und 28 Meter hohen Mauer aufstauten und damit einen Speichersee im Kanton Schwyz anlegten, um das in Einsiedeln gelegene Etzelwerk mit Turbinenwasser zu versorgen, mussten sie sich um das Einverständnis der Einsiedler bemühen, die dem neuen Stausee – nicht zuletzt wegen zu erwartender Mückenschwärme – kritisch gegenüberstanden.

So wurde in einem zehnseitigen, 1929 zwischen den SBB und dem Kanton Schwyz geschlossenen Vertrag zentimetergenau festgelegt, welche Pegelhöhe der Sihlsee zu welcher Jahreszeit aufzuweisen habe und bis zu welcher Kote (exakte geografische Höhe) er maximal abgelassen werden dürfe. Und damit sich die Bundesbahnen auch wirklich daran halten würden, vereinbarten die Parteien eine Konventionalstrafe: «Werden die vom 1. Juni bis zum 31. Oktober jeden Jahres vorgesehenen Staukoten nicht erreicht, so zahlen die Bundesbahnen dem Bezirk für sich und zuhanden der betroffenen Viertel für jeden Tag, an dem diese Koten nicht erreicht werden, einen Betrag.» Diese «Mückengeld» genannte Geldstrafe beträgt 2500 Franken, und am 1. Juni 2020 war es des zu tiefen Pegelstandes wieder einmal so weit: Bis die SBB mit Hochleistungspumpen genügend Wasser aus dem Zürich- in den Sihlsee hochgepumpt hatten und dieser die vertragliche Mindesthöhe von 887.34 Metern wieder erreicht hatte, wurde eine Strafe von mehreren 10 000 Franken fällig.

Der Vertrag, 1929 unterzeichnet, hat nichts von seiner Aktualität eingebüsst: Erst im Februar 2020 hatten sich SBB und die Kantone Schwyz, Zürich, Zug die Bezirke Einsiedeln und Höfe nach jahrelangen Verhandlungen auf eine neue Konzession geeinigt. Der sommerliche Mindestpegel des Sihlsees bleibt bestehen, doch Mückenplagen werden die Bundesbahnen künftig wesentlich teurer zu stehen kommen: Laut dem neuen Vertragstext liegt das täglich anfallende Mückengeld ab dem Jahr 2023 bei zwischen 20 000 und 45 000 Franken. Pro Tag.