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«Misery index»: Die Addition des Bösen

Arbeitslosigkeit und Inflation sind schädlich für die Wirtschaft. Mit einer einfachen Addition versuchte der oberste Berater der Administration Johnson einen Wirtschaftsindikator zu schaffen – und scheiterte.

Als Chef des Council of Economic Advisors war der US-Ökonom Arthur Melvin Okun 1968 Präsident Lyndon B. Johnsons wirtschaftspolitisches Gewissen, und er suchte nach Indikatoren, die den Gang der Wirtschaft zuverlässig spiegelten und sich einfach kommunizieren liessen. Inflation und Arbeitslosigkeit sind die natürlichen Feinde ökonomischer Prosperität. Wie wäre es also, dachte sich Okun, wenn sich die Wirtschaftslage aus der Sicht des Durchschnittsbürgers ganz einfach als Summe von Arbeitslosigkeit in Prozent und Inflationsrate ausdrücken liesse? Okuns neue Kennziffer, der discomfort index, war in der Tat einfach zu verstehen. 3 Prozent Arbeitslose plus 3 Prozent Inflation ergibt einen Index von 6, und je tiefer die Zahl, desto besser. Mit einem Wert von 6,77 (im Durchschnitt von 1963 bis 1968) stand Okuns Chef im Weissen Haus nicht schlecht da; Präsident Johnson konnte gar von sich behaupten, seine drei Amtsvorgänger Kennedy, Eisenhower und Truman in Sachen discomfort index unterboten zu haben.

Während der Stagflation der 1970er-Jahre, als US- und Weltwirtschaft unter Wachstumsrückgang, hoher Arbeitslosigkeit und hoher Inflation litten, wurde der discomfort index in misery index, «Elendsindex», umbenannt. Hinter dem Konzept stand Okuns grundsätzliche Überlegung, dass eine Volkswirtschaft bei einem niedrigen misery index besser läuft als bei einem hohen, weil beide Summanden, Arbeitslosigkeit und Inflation, hohe wirtschaftliche und soziale Kosten verursachen. Für Notenbanken kann der Index darauf hindeuten, war prioritär zu tun ist: Ist bei geringer Inflation die Arbeitslosigkeit hoch, sollte sie die Zinsen senken; steigt demgegenüber die Inflation an, müsste sie die Zinsen erhöhen. Als Faustregel gilt, dass die Wirtschaft bei einem einstelligen misery index gut dasteht; zweistellige Werte dagegen stehen für Probleme.

Viel mehr als Faustregeln aber hatte Okuns Elendsindex nicht zu bieten. Eine sehr tiefe Arbeitslosigkeit oder ein gar negativer Inflationswert senken zwar beide den Index, kündigen tatsächlich aber schwerwiegende Probleme an: Ein zu geringes Reservoir an verfügbaren Arbeitskräften hemmt die Wirtschaft, und eine Deflation entspringt einer Absatzkrise und kann schlimmstenfalls in eine veritable Depression führen. Zwar gab es Versuche, den misery index arithmetisch auf Vordermann zu bringen, durch einen Miteinbezug des Wirtschaftswachstums und des Zinsniveaus etwa oder auch durch eine doppelte Gewichtung der Arbeitslosigkeit, weil diese als schädlicher betrachtet wird als die Inflation. Allein, es half alles nichts: Als Wirtschaftsindikator taugt Okuns simple Addition wenig.

Dafür fand der Elendsindex Eingang in die Politik. Es zeigt sich nämlich, dass Regierungen bei einem hohen Index eher abgewählt werden als bei einem tiefen. Seit dem zweiten Weltkrieg wurden – vor Donald Trump – erst drei zur Wiederwahl antretende Präsidenten vom Wahlvolk in die Wüste geschickt, nach immer lauter werdender Kritik an ihrer Wirtschaftspolitik: Gerald Ford (durchschnittlicher misery index von 16,00), Jimmy Carter (16,26) und George Bush senior (10,68) wiesen alle zweistellige Indexwerte auf – und mussten aus dem Weissen Haus ausziehen.