Die Panzerknacker gehören zu Entenhausen wie Dagobert und Donald Duck. Die Ganoven mit der schwarzen Maske und den Sträflingsnummern auf der Brust hatten höchst reale Vorbilder. Zum Beispiel die Gebrüder Franz und Erich Sass aus Berlin.
Viele Stunden lang hatten sie ohne Unterbruch geschuftet, doch nun, an diesem 27. Januar 1929, war die Arbeit getan. Staubig und verschwitzt, aber überglücklich leerten die beiden jungen Männer gemeinsam eine Flasche Wein, danach, zur Feier des Tages, gleich noch eine zweite. Dieser Sonntag sollte in die Kriminalgeschichte eingehen, denn der 24-jährige Franz Sass und sein 22-jähriger Bruder Erich waren keine gewöhnlichen Arbeiter, sondern gefürchtete Bankräuber, und ihr vorübergehender Arbeitsplatz war der Tresorraum der Disconto-Bank an der Kleiststrasse 23 in Berlin. Wochen hatte es gedauert, den Tunnel zu graben, der vom Nachbarhaus zum Keller der Bank führte; durch einen engen unterirdischen Luftschacht waren die Einbrecher bis zur Tresorwand gekrochen und hatten diese in mühevoller Kleinarbeit aufgespitzt. Als sie sich endlich zuprosteten, waren 179 der 181 Schliessfächer aufgebrochen, und alles, was die Berliner Hautevolee dem bestgesicherten Tresor der Stadt anvertraut hatte, lag in Beuteln zum Abtransport bereit.
Die Brüder Sass hatten hinter sich, was man eine lupenreine Ganovenkarriere nennt. In Armut aufgewachsen – die siebenköpfige Familie eines aus Polen eingewanderten Schneiders teilte sich eine 40-Quadratmeter-Hinterhauswohnung in Berlin-Moabit –, machten Franz und Erich früh Bekanntschaft mit Jugendamt und Polizei. Aus kleineren Diebstählen wurden Einbrücke in Serie, und 1926 wandten sich sich die beiden dem Tresorgeschäft zu. Doch trotz akribischer Planung und modernstem Gerät blieb der Erfolg aus: Ein erster Tresor der Deutschen Bank in Moabit hielt stand, weil den Sassens buchstäblich die Luft wegblieb – sie hatten den Sauerstoffverbrauch des nagelneuen Schneidbrenners nicht einkalkuliert. Weitere spektakuläre Einbrüche – Dresdner Bank an der Budapester Strasse, Reichsbahndirektion am Schöneberger Ufer, Landesfinanzamt Moabit – schlugen allesamt fehl.
Diesmal allerdings war alles anders. Es sollte eine ganze Weile dauern, bis der Einbruch überhaupt bemerkt wurde. Als der Kassierer am Montagmorgen den Tresorraum öffnen wollte, stellte er verdutzt fest, dass sich die schwere Panzertür keinen Millimeter bewegen liess. Die Bank vermutete einen Defekt am Schloss, doch auch Spezialisten der Herstellerfirma blieben erfolglos. Erst zwei Tage später gelang es zwei Maurern, die dicke Betonwand von der Seite her zu durchbrechen. Um im Notfall Zeit zu gewinnen, hatten die Einbrecher die Tresortür von innen blockiert.
Der Fall schlug hohe Wellen. Die Präzision, die Professionalität, die Dreistigkeit: Die Kriminalpolizei, vertreten durch Berlins Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel höchstpersönlich, hatte sofort die Brüder Sass im Visier, die man hinter einer ganzen Reihe von Bankeinbrüchen vermutete, deren Inhaftierung aber mangels hieb- und stichfester Beweise bisher nicht möglich gewesen war. Es half alles nichts: Wie stets hatten die Einbrecher keinen Fingerabdruck hinterlassen, von der Beute fehlte jede Spur, die Ermittlungen verliefen im Sand. Als die Sassens aus der Untersuchungshaft freikamen, schenkten sie der begeisterten Presse im Traditionslokal Lutter & Wegener am Gendarmenmarkt Champagner aus.
Allein, der Erfolg dauerte nicht ewig. Nach dem Reichstagsbrand 1933 wurde den Brüdern Sass der Boden zu heiss, und sie verlegten ihr Geschäft nach Dänemark. In Kopenhagen flogen sie auf und mussten erstmals vier volle Jahre absitzen. Derweil fand die Berliner Polizei in Mauerverstecken der Moabiter Wohnung Werkzeug und Diebesgut, und als Dänemark die beiden nach Verbüssung ihrer Haftstrafe abschob, wurden sie Ende März 1940 ins KZ Sachsenhausen verlegt und umgebracht – «auf Befehl des Führers erschossen», schrieb der zuständige Beamte ins Sterbebuch.
Epilog: Die geschätzten 2 bis 2,5 Mio. Reichsmark (8,6 bis 10,75 Mio. Franken) aus dem Tresor der Disconto-Bank (tatsächlich werden es noch wesentlich mehr gewesen sein, denn viele der Werte waren von ihren Eigentümern vor der Steuerbehörde versteckt worden) wurden bis heute nie gefunden. Selbst unter schwerer Folter hatten die Brüder das Versteck nicht preisgegeben. Schatzsucher vermuten die Beute vergraben im Grunewald, und das einzige, was die Polizei auch nach jahrelangen Ermittlungen vorzuweisen hatte, waren eine Reihe plausibler Vermutungen – und zwei leere Weinflaschen.