Verantwortlich für den Aufstieg des Rechtspopulismus ist nicht einfach Politikverdrossenheit, sondern vielmehr die Finanzkrise: Dies behaupten drei namhafte Ökonomen in einer brisanten wirtschaftshistorischen Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).
«Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: In diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen», schrieb der italienische Journalist und Politiker Antonio Gramsci 1929 im Mailänder Gefängnis San Vittore. Mit Krisen und mit Krankheit kannte sich Gramsci aus: Als überzeugter Marxist war er drei Jahre zuvor, nach einem gescheiterten Attentat auf Diktator Benito Mussolini, zusammen mit den letzten Verfechtern italienischer Demokratie verhaftet worden; die letzten Jahre bis zu seinem Tod 1937 sollte der schwerkranke Gramsci hinter Gittern und in einer Klinik verbringen.
Das Alte ist tot, das Neue noch nicht geboren: Krisen bedeuten Verunsicherung. Was wäre denn, so überlegten die Ökonomen Manuel Funke, Moritz Schularick und Christoph Trebesch, wenn politische Verwerfungen, wie sie rechtspopulistische Strömungen hervorrufen, nicht einfach aus dem Nichts kämen, sondern mit Finanzkrisen zusammenhingen? Was, wenn der Erfolg einer FPÖ in Österreich, einer AfD in Deutschland, eines Front National in Frankreich, einer Ukip in Grossbritannien oder einer Lega in Italien nicht auf Wahlversprechen und politische Erfolge, sondern vielmehr auf Erschütterungen des Finanzsystems zurückgingen?
Drei Jahre lang haben sich die drei Forscher in historische Daten aus den Jahren zwischen 1870 und 2014 vertieft. Insgesamt 800 Wahlen in 20 Industrieländern nahmen sie unter die Lupe und verglichen sie mit den dazugehörigen Wirtschaftsdaten. Ihre Beobachtung war dabei immer dieselbe: Finanzkrisen lassen die Regierungsmehrheiten bröckeln. Die Zahl der in den Parlamenten vertretenen Parteien steigt, und Gruppierungen am rechten politischen Rand gewinnen an Einfluss. Die Korrelation ist nicht zu übersehen: zwischen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und dem Nationalsozialismus, zwischen der Währungskrise Anfang der 90er-Jahre und der italienischen Lega Nord, zwischen der Finanzkrise 2008 und der AfD.
Finanzkrisen, so fanden die Forscher heraus, erschüttern Demokratien wesentlich stärker als konjunkturell bedingte Rezessionen. Der Grund für diese verblüffende Tatsache, so schreiben die Autoren, liege darin, «dass nicht-finanzielle Krisen als ‹entschuldbar› wahrgenommen werden, ausgelöst von äusseren Schocks wie Ölpreisen, Naturkatastrophen oder Kriegen. Finanzkrisen dagegen werden als hausgemacht empfunden, als ‹unentschuldbare› Missstände, hervorgerufen durch ein Versagen der Politik, Verantwortungslosigkeit und Vetternwirtschaft.» Wählerinnen und Wähler machten die Politik deshalb für Finanzkrisen verantwortlich, weil sie glaubten, diese hätten sich durchaus vermeiden lassen. Nötige Bankenrettungen seien äusserst unpopulär, und soziale Auswirkungen einer Finanzkrise – etwa die hässlichen Auseinandersetzungen zwischen Banken und Hypothekarschuldnern – seien in der öffentlichen Wahrnehmung ungleich viel stärker.
Politische Radikalisierung, Strassenproteste, Zersplitterung der Parteiensysteme und Rechtsrutsche in den Parlamenten, so schreiben die Autoren, seien geradezu das Markenzeichen von Finanzkrisen und führten zu politischem Stillstand, der wiederum eine erfolgreiche Krisenbewältigung behindere. Es sei nicht zuletzt die daraus resultierende politische Unsicherheit, die eine wirtschaftliche Erholung nach Finanzkrisen erschwerten. Regulatoren und Zentralbanken komme daher eine ganz besondere Verantwortung zu: Eine Finanzkrise zu verhindern, heisse, das Risiko eines politischen Desasters erheblich zu senken.