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Ein Briefporto von 40 Milliarden Mark

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs begann Deutschland unaufhaltsam in die ökonomische Katastrophe zu schlittern.

Ein unscheinbarer Umschlag, säuberlich in Sütterlin-Schrift ­adressiert: Das Porto für den Brief, aufgegeben Ende September 1922 in Leipzig und an einen Empfänger in Davos gerichtet, beträgt 6 Mark. Ein nächstes Schreiben, sechs Monate später, kostet bereits 300 Mark, Anfang September 1923 gar 60 000 Mark. Die Briefmarken können mit dieser Entwicklung nicht mehr Schritt halten und werden kurz vor dem Verkauf mit dem zehn- oder hundertfachen Wert überdruckt. Gleiche Leistung, explodierender Preis: Dieses Phänomen nennt man ‹galoppierende Inflation›.

Preise steigen oder fallen: In einer Marktwirtschaft können sich die Preise für Güter und Dienstleistungen jederzeit ändern. Steigen die Preise in ihrer Gesamtheit, spricht man von Inflation. Für einen Franken kann man auf einmal weniger kaufen als zuvor; der eine Franken ist auf einmal weniger wert. Die Geldentwertung verstärkt sich zusätzlich, wenn der Staat auf einen Schlag viel neues Geld in Umlauf bringt. Weil das Geld und damit auch die Kredite billiger werden, wächst die Nachfrage nach Waren und Leistungen – und damit steigen die Preise weiter. Kurzfristig erhöht sich auch die Produktion, und die Arbeitslosigkeit sinkt. Mittel- und langfristig jedoch, dann etwa, wenn die Unternehmen ihre Produktionsgrenzen erreichen, steigen nur noch die Preise.

Wenn die Menschen zusehen müssen, dass ihr Gehalt, ihr Erspartes, ihre Rente rasch an Wert verlieren, werden sie versuchen, ihr Geld so rasch wie möglich auszugeben. Schreitet schliesslich der Staat ein und verordnet einen Preisstopp oder eine Lebensmittelrationierung, bildet sich ein Schwarzmarkt. Geld erfüllt seine drei Grundfunktionen als Werteinheit, als Wertaufbewahrungs- und als Zahlungsmittel immer schlechter. Galoppiert die Inflation schliesslich sämtlichen staatlichen Korrekturversuchen davon, bleibt am Ende nur noch die Währungsreform: So will es das Lehrbuch, und so wollen es die Erfahrungen aus der grossen deutschen Inflation.

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, beginnt die Deutsche Reichsbank die umlaufende Geldmenge stark auszuweiten. Mit der Niederlage 1918 bläht sich die Geldmenge noch rascher auf, weil nur noch so die Sozialleistungen für Kriegsopfer finanziert werden können. Und als 1921 bekannt wird, wie viel die Siegermächte von Deutschland an Reparationen einfordern – über 132 Milliarden Goldmark in den harten Währungen Dollar, Pfund und Franc –, fällt die Inflation vom Trab in den gestreckten Galopp.

Ein letzter Brief von Leipzig nach Davos, am 15. November 1923, kostet mittlerweile 40 Milliarden Mark; dazugehörige Versicherungsmarken im Wert von je 1500 Mark dienen bloss noch als Klebestreifen zum Verschliessen des Umschlags. Als am selben Tag eine Währungsreform die deutsche Inflation schlagartig beendet, sind die Ersparnisse zahlloser Familien buchstäblich vernichtet.