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Die Rechenspiele des Charles Dow

Wie das erste und berühmteste Börsenthermometer, der Dow Jones Industrial Average, erfunden wurde.

Wie will man bei all dem Auf und Ab das Geschehen an der Börse messen? Das fragte sich 1884 der amerikanische Journalist Charles Dow – und errechnete kurzerhand einen Index der elf zu dieser Zeit wichtigsten amerikanischen Aktien. Dieser erste Aktienindex der Geschichte war vor allem ein Transportindex: Neun dieser elf Titel waren Eisenbahngesellschaften; mit der Pacific Mail Steamship Company kamen ein Schifffahrts- und mit Western Union ein Telegrafen- und Geldtransfer­unternehmen dazu. Charles Dow zählte die Kurse dieser elf an der New Yorker Börse gehandelten Unternehmen zusammen und dividierte ganz einfach wieder durch elf. Dieses arithmetische Mittel veröffentlichte Dow am 3. Juli 1884 in seinem zweiseitigen Customers’ Afternoon Letter, aus dem fünf Jahre später das renommierte Wall Street Journal werden sollte, und nannte es ‹Dow Jones Average›, benannt nach dem Urheber Charles Dow und seinem Kollegen Edward Jones. Das auf diese Weise berechnete Börsenthermometer wurde zum Vorbild einer Vielzahl von Börsenindizes, etwa für den deutschen DAX oder den schweizerischen SMI.

Heute setzt sich der Dow-Jones-Index aus 30 der grössten US-Unternehmen zusammen und misst sozusagen den Puls der amerikanischen Wirtschaft. Er macht vor allem von sich reden, wenn er fällt. Sein tiefster Sturz an einem einzigen Tag – um 508 auf 1738 Punkte oder mehr als 20 Prozent – fand an jenem schwarzen Montag statt, dem 19. Oktober 1987, den wir als ‹Börsencrash› kennen. Innert zweier Tage kletterte er wieder um zehn Prozent in die Höhe – ein anschauliches Beispiel dafür, wie unberechenbar sich die Aktienkurse zuweilen verhalten.

Der Dow Jones ist heute gewichtet. Nicht alle Aktien haben bei der Berechnung das gleiche Gewicht, aber zusammen lesen sie sich wie das Who’s Who der US-Wirtschaft: von McDonald’s und Coca-Cola bis hin zu Apple und Microsoft. Mit fast acht Prozent stellt die Investmentbank Goldman Sachs zurzeit das Schwergewicht des Index dar; der Mischkonzern General Electric zählt mit gut einem Prozent zu den Federgewichten. Und obwohl professionelle Anleger den Dow Jones aufgrund der ­geringen Titelzahl und seiner einfachen Berechnung mittlerweile als überholt betrachten, ist er beim Durchschnitts­anleger immer noch Kult.

Weil die amerikanische Wirtschaft Ende des 19. Jahrhunderts blühte und zahlreiche Übernahmen immer grössere Industrieunternehmen entstehen liessen, schuf Charles Dow zwei Jahre nach seinem ersten Index den eigentlichen Vorläufer des heutigen Dow Jones, den ‹Dow Jones Industrial Average›. Am 26. Mai 1896 lag er bei 40,94 Punkten, doch schon am 8. August desselben Jahres fiel er auf den tiefsten Wert aller Zeiten, auf 28,48 Punkte. Mehr als 1000 Punkte beträgt der Dow Jones auf Dauer erst seit Anfang der 80er-Jahre. Zurzeit pendelt er um die 20 000 Punkte, und ein Fall unter 10 000 Punkte gälte bereits als Vorbote des Weltuntergangs. Dabei ist er doch nur ein Durchschnittswert, der bisweilen mit Wirtschaft weniger zu tun hat als mit angewandter Psychologie.