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Der gefrässige Flipperkasten

Was heute das Onlinegame oder die Spielkonsole, war in den Siebzigerjahren der Flipperkasten, ein blinkendes, lärmendes Ungetüm, das Spielerinnen und Spieler geradezu magnetisch anzog. Heute sind die elektromechanischen Automaten begehrte Sammlerobjekte.

Der Flipperkasten besitzt eine Sprungfeder, mit der sich der Ball nach oben schiessen lässt, die flippers, die ihn im Spiel halten sollen, allerlei Hindernisse, Rampen, Schlagtürme (bumpers), Zielscheiben (targets), Auswurflöcher (ejects) – und nicht zuletzt einen gefrässigen Münzschlitz, der das Taschengeld ganzer Generationen zu vertilgen pflegte. Und vor allem hat der Flipperautomat eine Geschichte, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht.

Sein Vorfahr war ein Zeitvertreib französischer Adliger und hiess «Bagatelle». Seinen Namen erhielt das Spiel vom «Château de Bagatelle» im Bois de Boulogne, in dem der Graf von Artois 1777 zu Ehren seines Bruders, des französischen Königs Louis XVI, ein rauschendes Fest gab. Dessen Hauptattraktion war ein abschüssiges Spielbrett mit eingelassenen Holzstiften, auf dem die Gäste mit einem Queue den aus Elfenbein gefertigten Ball in die Löcher mit den höchsten Punktzahlen zu spielen suchten. «Bagatelle» wurde ein Riesenerfolg, und französische Soldaten brachten das Spiel mit nach Amerika. Spätere Spieltische wiesen erste Sprungfederkatapulte, sogenannte plungers, und statt Holzstöpseln Nägel auf, weshalb der heutige Flipperkasten auf Englisch pinball heisst.

Der erste, immer noch gänzlich mechanische Pinball-Automat hiess «Baffle Ball» und stammte vom Spielautomatenhersteller «D. Gottlieb & Co.». 1931, während der Weltwirtschaftskrise, hatte in den USA kaum jemand Geld für Zerstreuung, und so war ein Automat, der für bloss einen Cent 10 Bälle ausgab, hoch willkommen. Das Geschäftsmodell funktionierte prächtig: Spieler bezahlten wenig, um an einem Automaten spielen zu können, der als Apparat viel zu kostspielig gewesen wäre. Das Jahr 1933 brachte die ersten elektrischen Automaten und die Erfindung der charakteristischen bumpers, die bei Ballkontakt die Kugel wuchtig ins Feld zurückschlagen. Zumeist in der Mafia-Hochburg Chicago hergestellt, wurden die Automaten der Marken «Gottlieb» und «Williams» so beliebt, dass New York City und andere Städte im Zweiten Weltkrieg das Flippern gesetzlich verboten und die Kästen im Blitzlichtgewitter der Pressefotografen mit Vorschlaghämmern zerschlagen liessen, weil sie angeblich die Spielsucht förderten, den Schulkindern das Geld aus der Tasche zogen und ihre Herstellung wertvolle, kriegswichtige Metalle verschwendete.

Allein, es half alles nichts. Immer raffinierter wurden die Geräte, und 1947 erfand Gottlieb-Techniker Harry Mabs die charakteristischen Flipperhebel, mit denen der Spieler zum ersten Mal aktiv ins Geschehen eingreifen konnte, um die Stahlkugel länger im Spiel zu halten. Der erste, gleich mit sechs (noch von aussen nach innen schlagenden) Flippern ausgestattete Automat namens «Humpty Dumpty» zog Jugendliche an wie der Mist die Fliegen. Flippern wurde zum Inbegriff des Freizeitvergnügens – in den USA, ab den späten 1950-er Jahren zunehmend auch in Europa. In den Siebzigerjahren schliesslich wurde der technisch immer weiter perfektionierte Flipperkasten zur eigentlichen Spiel-Ikone.

Die elektromechanischen Automaten von damals sind heute begehrte Sammlerobjekte. Für einen sorgfältig restaurierten Flipperkasten blättern Sammler fünfstellige Dollarbeiträge hin. Doch es geht auch billiger: in einem der selten gewordenen Spielsalons, im Spielemuseum – oder mit der Pinball-App fürs Handy.

Dieser Artikel erschien im November 2022 im Magazin «Forum» der LGT Group, Vaduz.