Zum Inhalt springen

Der Flügelschlag des Schicksals

Zu viel Risiko ist ungesund. Aber ganz ohne geht es auch nicht.

«Wenn Sie alle Risiken vermeiden wollen, haben Sie bald keine Risiken mehr zu vermeiden, weil Sie nicht mehr im Geschäft sind»: Solcherlei Logik stammt von Joe Ackermann, dem frü­heren Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank und Verwaltungsratspräsidenten der Zürich-Gruppe.

Was heute an den Märkten in aller Munde ist, hatte früher ganz einfach mit Mut zu tun – ob mit dem Mut des Seefahrers oder dem des Ritters, darüber streitet die Sprachwissenschaft bis heute. ‹Risiko› geht, so behaupten die einen, auf das griechische rhizikon oder das spanische risco zurück, auf Deutsch ‹Klippe›. Die anderen sind davon überzeugt, dass Risiko von einem frühromanischen Verb rixicare abstammt, das ‹streiten› oder ‹Widerstand leisten› bedeutet. Und so streiten sich die Forscher munter weiter, auch wenn beide, die Seefahrer und die Turnierkämpfer, den schlagenden Beweis bis heute schuldig bleiben.

Ob zu Wasser oder zu Land, der Kampf mit den Wellen und der gegen den Gegner blieben buchstäblich unberechenbar. Und diese Unkalkulierbarkeit war zu allen Zeiten der Schrecken der Kaufleute. Ob ihr Schiff im Sturm sank, an einer Klippe zerschellte, Piraten oder gar einem ausgewachsenen Krieg zum Opfer fiel – das Geschäft war und blieb ein Wagnis.

Zumindest auf dem Finanzmarkt und im Anlagegeschäft lässt sich dessen Grösse heute näherungsweise bestimmen. Ein Gradmesser für das Risiko ist die sogenannte Volatilität. Volatilis kommt von volare und heisst auf Lateinisch ‹fliegend› oder ‹vorüberziehend›; ab dem 17. Jahrhundert bedeutete es in der ­Sprache der von unerwarteten Verlusten geplagten englischen Händler ‹unzuverlässig› oder ‹trügerisch›. In der Finanzmathematik ist die Volatilität heute definiert als die Standardabweichung von einem Durchschnittswert. Vereinfacht ausgedrückt: Man misst den Wert einer Ware, eines Wertpapiers oder eines Zinssatzes in regelmässigen zeitlichen Abständen und errechnet dann die Schwankungsbreite um den Mittelwert herum. Je grösser die gemessenen Abweichungen, desto volatiler der Kurs – und desto grösser das Risiko. Die Kehrseite der Medaille: Die Standardabweichung beruht auf dem Ausmessen der Vergangenheit, aber sie ist keine Glaskugel, mit der sich die Zukunft vorhersagen lässt. Die Risikomodelle von Banken und Versicherungen sind daher wesentlich komplexer.

Wie der Kaufmann mit dem Risiko umgeht, hängt von seiner Persönlichkeit ab: Trachtet er nach dem grösstmöglichen Gewinn und setzt alles auf eine Karte, ist er risikoaffin. Entscheidet er dagegen allein nach sachlichen Kriterien, ist er risikoneutral, geht er auf Nummer sicher, dann ist er risikoscheu. Und die Ackermänner dieser Welt wissen: Vermeidet der Kaufmann das Risiko ganz, ist er bald keiner mehr.