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Das unterschätzte Wertpapier

Geld ist nicht nur Bares, sondern auch der Bücher­gutschein, den wir verschenken, wenn uns gerade nichts anderes einfällt. Der Gutschein ist ein unterschätztes Wertpapier.

Gutscheine sind allgegenwärtig: der Voucher, mit dem wir das Ferienhotel bezahlen; die Geschenkkarte, mit der wir Handy­gesprächsguthaben einlösen; der Rabattcode, den wir beim Schnäppchenportal eingeben. In rechtlicher Hinsicht sind Gutscheine quasi bares Geld: Mit ihnen können wir eine Ware oder Leistung abgelten. Handelt es sich um einen Gutschein ohne Nennung unseres Namens, dann ist er ein Inhaberpapier: Um ihn einzulösen, reicht es aus, ihn vorzuweisen. Eine weitere Legitimation – Ausweis, Kaufvertrag, Unterschrift – ist nicht nötig.

Und doch ist die Sache mit den Gutscheinen einigermassen vertrackt. Im Gegensatz zu den Banknoten, deren Emission der Notenbank vorbehalten und gesetzlich klipp und klar geregelt ist, kommt der Gutschein als solcher im Gesetz gar nicht vor. Und weil die fraglichen Beträge im Streitfall meist gering sind, kommen Aussteller auch kaum je vor Gericht.

Das ist erstaunlich, denn Gutscheine bieten durchaus Streitpotenzial. Viele sind nämlich zeitlich limitiert: Der Bezug der versprochenen Güter oder Dienstleistungen («Einzulösen bis…») ist oft auf ein oder zwei Jahre beschränkt. Bloss: Diese zeitliche Beschränkung ist in den meisten Fällen fragwürdig, wenn nicht gar ungesetzlich, denn sie hat dieselbe Wirkung wie eine Verjährung. Und laut Gesetz dürfen die Verjährungsfristen qua Vertrag nicht abgeändert werden. In Deutschland sieht das ­Bürgerliche Gesetzbuch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Verjährung einer Leistung erst in drei Jahren vor. Das Schweizerische Obligationenrecht kennt – ähnlich wie das Liechtensteinische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch – eine Verjährung in fünf Jahren, sofern es sich um Leistungen vom Lebensmittelhändler, Wirt, Handwerker, Verkäufer, Arzt oder Anwalt handelt, in allen anderen Fällen gar erst in zehn Jahren. Noch länger dauert es in Österreich: Enthält der Gutschein keinen triftigen Grund für die Einlösefrist, verjährt er laut Allgemeinem Bürgerlichem Gesetzbuch gar erst in 30 Jahren.

Derweil sich die Juristen den Kopf zerbrechen, vermehren sich die Gutscheine munter weiter. Der Geschenkgutschein der Bücherei ist längst ein Rabattcode von Amazon, Apple oder Google; Onlineportale vertreiben Rabattgutscheine und Coupons en masse. Weil das Gesetz ein Dschungel, der Gutschein dagegen handfeste Realität ist, helfen zwei Faustregeln weiter: Erstens: Liegt ein Gutschein mit Frist unter Ihrem Christbaum und brauchen Sie gerade weder neue Handschuhe noch einen Ballonflug, fordern Sie eine Fristverlängerung ein. Und zweitens: Wenn auch Ihnen als Geschenk nur der Büchergutschein einfällt, dann verschenken Sie stattdessen lieber Banknoten. Die lassen sich überall einlösen, ohne Wenn und Aber.