Zum Inhalt springen

Das Milliardengeschäft, das beinah keines geworden wäre

Der Computer führt Buch über unser Hab und Gut: Ohne ihn wechselt kein Franken, kein Euro, kein Dollar seinen Besitzer. Kaum zu glauben, dass die Erfindung des Mikrochips um ein Haar untergegangen wäre.

Im Labor in Dallas war es heiss in jenem Sommer 1958, heiss und langweilig. Der 34-jährige Elektroingenieur Jack Kilby, ein Neuling bei Texas Instruments (TI) in Dallas, hatte als einziger keinen Urlaub erhalten und also jede Menge Zeit, über die «tyranny of numbers», die «Tyrannei der Zahlen», nachzudenken. So nannte man das Problem, dass elektronische Bauteile aus immer mehr Widerständen, Dioden und Transistoren bestanden, deren Zusammenlöten mit zunehmender Komplexität immer schwieriger wurde. Es müsste doch möglich sein, schrieb Kilby in sein Labortagebuch, Elektronik als integrierte Schaltung zu fertigen, quasi in einem einzigen Stück statt aus Dutzenden von Komponenten. Kilby nahm den Lötkolben zur Hand und begann zu experimentieren, und am 12. September war es so weit: Ein unscheinbares Glasplättchen, darauf ein Streifen aus dem Halbmetall Germanium, kaum grösser als eine Büroklammer, sowie ein paar dünne Golddrähte. Doch als Kilby den Prototyp anschloss, erschien auf dem Oszilloskop eine perfekte, endlose Sinuskurve. Zum ersten Mal in der Geschichte der Technik bestand eine elektronische Schaltung aus einem einzigen Teil.

Kilbys Kollegen bis hin zum obersten TI-Chef Mark Shepherd waren beeindruckt, bloss nicht beeindruckt genug. Zwar wurde die bahnbrechende Erfindung 1964 unter dem Titel «Miniaturisierte elektronische Schaltkreise» patentiert, aber ausser mannigfaltigem Staunen an Fachmessen bewirkte Kilbys erster Mikrochip – nichts. Selbst als Kilby 1967, mittlerweile Laborchef von TI, zusammen mit seinen Kollegen Jerry Merryman und James Van Tassel den ersten batteriebetriebenen, chipgesteuerten Taschenrechner «Cal-Tech» präsentierte, gross wie eine Zigarrenschachtel und eineinviertel Kilo schwer, der die vier Grundoperationen beherrschte, bis zu zwölfstellige Zahlen berechnete und das Ergebnis auf Thermopapier ausdruckte, geschah – nichts. TI wusste mit Kilbys bahnbrechender Erfindung schlicht nichts anzufangen. Immerhin erklärte sich das Unternehmen bereit, die aufstrebende japanische Firma Canon den Rechner in Serie bauen zu lassen. Und dann ging auf einmal alles ganz schnell: Taschenrechner, immer kleinere Taschenrechner, Computer.

Heute sind Finanz und Wirtschaft ohne Mikrochip undenkbar. Die Herstellung der benötigten Mikroprozessoren ist ein Riesengeschäft. Das deutsche Onlineportal Statista schätzt den weltweiten Umsatz für das Jahr 2018 auf über 66, für 2019 gar auf gegen 69 Milliarden Dollar. Jack Kilbys Prototyp von 1958 dagegen erwies sich als Ladenhüter: Als das Auktionshaus Christie‘s 2014 in New York die in Privatbesitz befindliche Ur-Schaltung mit einem geschätzten Wert von bis zu 2 Millionen Dollar zur Versteigerung anbot, fand sich kein Käufer, der bereit war, auch nur den Mindestpreis zu zahlen.

Der wahre Wert des Plättchens war ein anderer. Das TI-Labor von damals ist heute eine Gedenkstätte der Technik, und Erfinder Jack Kilby erhielt im Jahr 2000, fünf Jahre vor seinem Tod, den Nobelpreis für Physik.