Zum Inhalt springen

Bezahle, was du willst

Antonio Vivaldis «Vier Jahreszeiten», davor der offene Geigenkasten: Mit «Pay what you want» verfügen Strassenmusikanten über ein erstaunlich leistungsfähiges Erlösmodell.

Ich war 20, frischgebackener Literaturstudent und wie stets knapp bei Kasse. Wenig macht so erfinderisch wie Ebbe im Portemonnaie, und so zog ich an einem lauen Frühlingsabend mit meinem Streichtrio aus, um auf der Strasse Wiener Kaffeehausmusik zu spielen. In der Stadt Bern herrschte reges Treiben, und die folgenden zwei Stunden sollten sich als über die Massen lehrreich erweisen: Schon während des zweiten Satzes hatten sich Dutzende Passanten um uns versammelt, und nach dem Schlussapplaus war mein Cellokasten überraschend gut gefüllt. Meine Mitmusiker und ich waren um Zweierlei reicher: um über 850 Franken – heute umgerechnet über 1300 Euro – sowie die Bekanntschaft mit einer leistungsfähigen Form des Fundraising, die «Pay what you want» genannt wird.

«Pay what you want» ist das gängige Erlösmodell von Strassenmusikanten. Hör zu und bezahle danach, was dir die Darbietung wert war – dieses Prinzip ist eines der ältesten Fundraising-Prinzipien überhaupt. Auf Wohltätigkeitsbasaren gibt es Kaffee-und-Kuchen-Angebote, deren Erlös auf «Pay what you want» beruht, Rockbands bieten ihr neuestes Album offen zum Download an und überlassen das Pricing den Fans, und selbst Restaurants und Bars wagen es, die Gäste über das Entgelt entscheiden zu lassen. Reines «Pay what you want» kennt keine Preisuntergrenze, und dennoch muss es kein Verlustgeschäft sein. In unseren von Fairness geprägten Kulturen wird die überwiegende Mehrheit der Kunden angemessen bezahlen. Bei Offline-Geschäften liegt die Rate derjenigen, die nach dem Bezug einer klar definierten Leistung nichts bezahlen, in der Regel im tiefen einstelligen Prozentbereich.

«Bezahlen nach Belieben» hat einen entscheidenden Vorteil: Es enthebt den Anbieter von der Aufgabe, einen Preis festzusetzen. Ein Festpreis kann nämlich leicht zu hoch und damit prohibitiv wirken – oder aber zu tief sein, was den Ertrag schmälert und obendrein als Indiz für ein minderwertiges Produkt gilt. Dazu fördert «Pay what you want» die öffentliche Aufmerksamkeit und das Image: Der Anbieter ist offenkundig von der Qualität seines Angebots überzeugt und steht nicht im Ruf, seine Kunden auszunehmen. Namentlich kleine, gemeinnützige und soziale Unternehmen erzielen mit «Bezahlen nach Belieben» ansprechende Erträge.

Auf Zweierlei aber ist zu achten: «Pay what you want» funktioniert nur, wenn eine persönliche Kundenbeziehung besteht – bei reinen Onlinegeschäften wird die Rate der Nichtzahler deutlich höher sein. Und: Der Kunde muss wissen, was die angebotene Leistung normalerweise kosten würde. Ein gewisses Risiko besteht dennoch. Um möglichen Verlusten vorzubeugen, geben viele «Pay what you want»-Anbieter daher mit Formulierungen wie «Kunden bezahlen normalerweise…» einen Referenzpreis an. Und andere bieten bloss einzelne Produkte oder Leistungen nach diesem Prinzip feil: Im Restaurant etwa beruht dann nur das Essen auf «Pay what you want»; Getränke dagegen werden zu festen Preisen verrechnet.

Unglücklicherweise ist «Pay what you want» nicht nur das Erlösmodell von Strassenmusikern, sondern auch von Bettlern. Und weil sich die beiden Gruppen nicht immer trennscharf auseinanderhalten lassen, ergreifen immer mehr Kommunen Massnahmen gegen akustisches Littering. Musizieren ist in vielen Städten nur noch zu bestimmten Zeiten erlaubt, nur für eine begrenzte Dauer am selben Ort, lediglich in Kleinformationen und nur in geringer Lautstärke. Zuwiderhandelnde werden von der Polizei weggewiesen. Im Mittelalter waren die Sitten noch strenger: Schlechte Strassenmusikanten wurden an einem «Schandflöte» genannten Pranger zur Schau gestellt und dem Spott der Passanten preisgegeben.