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Eine kleine Geschichte des Verschliessens

Geld will sicher aufbewahrt sein. Die Truhen und Kassetten des Mittelalters und die Tresore und Banksafes von heute haben eines gemeinsam: Schloss und Schlüssel.

Der Mann war ein leidenschaftlicher Schlosser: Jede freie Minute verbrachte er in seiner kleinen Werkstatt im Dachstock und baute Schlösser. Oft aber hatte er anderes zu tun, denn er war nicht Schlosser von Beruf: Sein Name war Louis Auguste, besser bekannt als Louis XVI, König von Frankreich.

70 Jahre später im US-Bundesstaat New York: Linus Yale ­senior war Universalerfinder und hielt mehr als ein Dutzend Patente für Schlösser, Dreschmaschinen und Sägemühlen. Sein Sohn Linus Yale junior dagegen studierte Malerei. Doch am Ende erwies sich die Pflicht als stärker: 1850 trat auch der Junior ins Familiengeschäft ein, und als sein Vater starb, stellte der junge Linus Yale den Betrieb ganz auf Schlösser um, Schlösser, die unter keinen Umständen zu knacken sein sollten.

Louis Auguste, Linus Yale – die Leidenschaft der beiden Schlosser hat eine lange Tradition. Schliessvorrichtungen, in denen Schlüssel einen Riegel bewegen, gibt es seit Jahrtausenden. Denn was uns lieb und teuer ist, das pflegen wir sorgsam einzuschliessen. Vor 5000 Jahren in Mesopotamien waren es die ersten Fallriegelschlösser, deren Stifte durch ihr Eigengewicht in Aussparungen des Riegels glitten und diesen blockierten. Im Mittelalter waren es Truhen und Kassetten mit schweren Beschlägen und immer raffinierteren Schliesskonstruktionen, die allesamt stets nur eines bezweckten: den Dieb nicht an den Schatz zu lassen.

Die Achillesferse eines jeden Schlosses aber ist das Schlüsselloch. An dieser verräterischen Öffnung machen sich Unbefugte als Erstes zu schaffen, mit Werkzeug aller Art, im schlimmsten Fall gar mit Schiesspulver oder Dynamit. Also erfand Kon­strukteur Linus Yale das Kombinationsschloss für Banksafes, welches das hinter massivem Stahl versteckte Schlüsselloch erst nach der Eingabe der richtigen Zahlenkombination freigab.

Heute sind Tresore Hightech-Produkte ersten Ranges. Korpus und Tür sind mehrwandig ausgeführt, dazwischen eingegossen werden Isolierstoffe und Beton. Eingelagerte Karborundpartikel oder Stahlkugeln lassen Bohrer und Trennscheiben stumpf werden, feuerfeste chemische Zusätze machen Schneidbrenner unwirksam. Die Tür ist an Spezialscharnieren aufgehängt, und die mechanischen und elektronischen Spezialschlösser mit ihrem massiven Mehrseiten-Riegelwerk aus gehärtetem Stahl sind dazu angetan, jeden Panzerknacker in den Wahnsinn zu treiben.

Mit bemerkenswerter Gelassenheit dagegen reagierte der von der Revolution zum citoyen Louis Capet degradierte König und Schlosser am 21. Januar 1793 auf sein Todesurteil: Er beteuerte nochmals seine Unschuld, sprach seiner Familie Trost zu, betete ein letztes Mal und wurde danach auf der Place de la Concorde in Paris mit der Guillotine hingerichtet.