Zum Inhalt springen

Der Münzautomat: Sünder, Verführer, Konkurrent

Verkaufen, ohne zu arbeiten? Ohne teures Geschäft? Diesen Händler­traum machten die ersten Verkaufs­automaten wahr. Die Kunden lieb­ten sie. Andere dagegen weniger.

Verkaufen ist Arbeit, und umständlich dazu: Der Verkauf einer Ware setzt erstens ihr Vorhandensein und zweitens die gleichzeitige Anwesenheit von Käufer und Verkäufer voraus – die Schilder mit der Aufschrift «Heute geschlossen» zeugen von den Grenzen dieses Systems. In den Tempeln der Antike pflegten geschäftstüchtige Händler den Gläubigen Weihwasser zu verkaufen. Doch was, wenn sich deren Gebete nicht an die Geschäftszeiten hielten? Der griechische Ingenieur Heron von Alexandria schuf im 1. Jahrhundert n. Chr. Abhilfe. In seinem Buch Pneumatika beschreibt er die Konstruktion eines Weihwasserautomaten. Dieser bestand aus einem Zylinder, der mit Wasser gefüllt war, auf dessen Oberfläche eine Holzscheibe schwamm. Das Gewicht der eingeworfenen Vierdrachmen-Münze drückte das Weihwasser durch ein Röhrchen nach oben, wo es dem Käufer in die Hand rann. Weil niemand so verwegen war, die Götter zu betrügen, war ein Prüfen der Münze unnötig. Dieser sogenannte ‹Heronsbrunnen› gilt als der erste Verkaufsautomat der Geschichte.

Dass wir unser Geld heute nicht nur zur Bank, sondern auch zum Münzautomaten tragen, liegt an einem eigentlichen Erfindungsboom Ende des 19. Jahrhunderts. Postkarten, Bücher, Bleistifte, Schokolade, Kaugummi, Zigaretten – was immer sich in Automaten packen liess, wurde auf einmal in schrankgrossen, verschnörkelten, bunt lackierten Schränken aus Gusseisen, Stahlblech oder Holz angeboten. Der Mechanismus, der die durch ein Schauglas sichtbare Ware in den Auswurf beförderte, wurde immer komplexer – ebenso wie die ausgeklügelten Münzprüfsysteme, die findige Betrüger immer aufs Neue mit minderem Kleingeld auszutricksen suchten.

Das Aufkommen der Verkaufsautomaten in Europa stiess indes nicht nur auf Zustimmung. Angesichts der vielen Süssigkeiten sorgten sich Kritiker um die Volksgesundheit; Händler sahen in den aufgestellten Kästen unliebsame Konkurrenten und monierten Verstösse gegen örtliche Gewerbeordnungen; selbst­ernannte Sittenwächter befürchteten gar die Anstiftung zur Kriminalität, weil Kinder immer wieder versuchten, die Automaten mit Hosenknöpfen oder Unterlagsscheiben zu überlisten. Und die Kirche schliesslich hatte Bedenken wegen des Warenverkaufs an Sonntagen und der Verführung der Gläubigen während der Fastenzeit.
Dem Automatenboom konnte das alles nichts anhaben. 1902 eröffneten Joseph Horn und Frank Hardart in Philadelphia ein Selbstbedienungslokal, in dem die angebotenen Speisen ausschliesslich in Automaten feilgeboten wurden. Die Firma Horn & Hardart Automats expandierte 1912 nach New York und wurde in den 40er- und 50er-Jahren mit mehr als 180 Filialen zur grössten Restaurantkette der Welt.

Heute dagegen wird online bestellt, bezahlt wird per Kreditkarte, geliefert per Post. Die letzten Jugendstilschränke aus den Anfängen der Automatenzeit dagegen sind selbst zur Handelsware geworden – als begehrte Sammlerobjekte.