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Der Goldesel namens ‹Freemium›

«Was nichts kostet, ist nichts wert», befand Albert Einstein 1927 – und lag damit so falsch wie selten in seinem Gelehrtenleben. Das Geschäftsmodell namens ‹Freemium› lässt die Milliarden sprudeln.

‹Gratis› ist ein Wort, das die Augen glänzen lässt. Als Kind beim Metzger, wo es als Dreingabe eine Wurstscheibe gab, als junger Erwachsener dann die Brieftasche als Dank des Verlags fürs Zeitungsabonnement, heute das Smartphone beim Abschluss des Telekom-Zweijahresvertrags – auch heute noch heisst das Zauberwort ‹gratis›. So heisst es schon eine ganze Weile. ‹Gratis› stammt vom lateinischen gratia (‹Dank›) ab und wurde im 16. Jahrhundert in der Bedeutung ‹um des Dankes, nicht um der Belohnung willen› ins Deutsche importiert. Solcherlei etymologische Raffinesse interessiert heute niemanden mehr. Gratis kostet nichts, und damit basta.

Und genau das ist kreuzfalsch. Denn ‹Gratis› ist das womöglich bauernschlaueste Geschäftsmodell der Welt. Wer eine Gratis-App herunterlädt, will irgendwann mehr Funktionen haben und bezahlt die teure Vollversion. Wer sein Handy kostenlos erhält, bindet sich jahrelang an einen Anbieter und bezahlt anstandslos die hohen Gebühren. Und wer dankend das kostspielige Werbegeschenk annimmt, bleibt der Firma als treuer und zahlender Kunde erhalten.

‹Freemium› heisst das Modell auf Neuenglisch; auf Altdeutsch würde man es ‹Da-ist-ein-Haken-dran› nennen. Das Produkt oder der Dienst ist zwar unzweifelhaft gratis. Aber nur 30 Tage lang. Oder mit zu wenig Speicher. Oder mit fehlenden Optionen. Oder ohne Support. Oder, besonders niederträchtig, nur der Nachbar hat’s gratis bekommen, danach war Schluss.

Das Geschäftsmodell namens ‹Freemium› treibt bunte Blüten. Eine der Knospen am Baum der Digitalindustrie sind die sogenannten ‹In-App-Käufe› in Handyspielen: Das betreffende Game ist kostenlos und macht süchtig, wird aber immer schwieriger – so schwierig, dass der Spieler irgendwann steckenbleibt. Es sei denn, er kaufe sich zusätzliche Spielzüge, Hilfsmittel oder weitere Leben dazu. Zum Schnäppchenpreis von nur einem Dollar. Pro Mal, versteht sich.

Eines der erfolgreichsten ‹Freemium›-Games heisst Candy Crush, ein Puzzlespiel mit einem Spielbrett voller knallbunter Bonbons. Es stammt vom Unternehmen King Digital Entertainment, das 2002 in Stockholm gegründet wurde. Zu Beginn verdiente King sein Geld mit Onlinespielen, doch der eigentliche Durchbruch gelang im März 2011 mit dem Launch des Online­games Candy Crush, das ein Jahr später als App für Facebook und kurz danach als App für Smartphones auf den Markt gebracht wurde. Zu Spitzenzeiten nahm King mit diesem Game täglich über 600 000 Dollar ein – allein im amerikanischen App Store. 2015 erwirtschaftete das börsenkotierte Unternehmen einen Umsatz von 2 Milliarden Dollar, um noch im selben Jahr vom Computerspielgiganten ­Activision Blizzard übernommen zu werden, für eine Kaufsumme von 5,9 Milliarden Dollar. Das Game Candy Crush, das King gross gemacht hatte, weist heute Tausende von Levels auf und wurde insgesamt mehr als eine Billion Mal gespielt, von jedem Erdenbürger im Durchschnitt über 130 Mal.

Das Geschäftsmodell namens ‹Freemium› ist ein Goldesel, wie er im Buche steht. Ganz so neu ist das allerdings nicht. Zweimal beim Einkaufen ein geschenktes Wurstrad für uns Kinder, beim dritten Mal dann der Braten auf dem Mittagstisch. Und der war alles andere als gratis.