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Der Euro des Mittelalters

Europas Währung ist der Euro, und den Schilling kennen wir nur noch als letzte Währung Österreichs vor der Euro-Einführung. Tatsächlich ist der Schilling im Grunde dessen Urahn: eine europäische Einheitswährung, eingeführt und durchgesetzt von Karl dem Grossen.

Jahrhundertelang hatte Rom festgelegt, womit in Europa zu zahlen sei: As, Sesterz, Aureus und Solidus (von dem der altfranzösische Sol oder der italienische Soldo abstammen) waren die gängigen Zahlungsmittel. Mit dem Zerfall des römischen Reichs im 5. Jahrhundert aber begannen Währungen und Münzeinheiten in den germanischen Reichen zu wuchern. Weil sich ein Staat nicht nur durch gemeinsame Sprache und Schrift, sondern auch durch einheitliche Masse und Münzeinheiten auszeichnet, schickte sich Karl der Grosse Ende des 8. Jahrhunderts an, im fränkischen Grossreich die Währung zu vereinheitlichen. Das ohnehin bereits mächtige, fast ganz Frankreich und einen grossen Teil des heutigen Deutschland umfassende Reich seines Vaters Pippin hatte Karl in nur 25 Jahren nochmals deutlich vergrössert: Sachsen, Böhmen und Mähren zählten nun ebenso dazu wie Bayern, die Lombardei und ein grosser Teil Italiens.

Auf Anordnung Karls im Jahr 793 wurde der Schilling auf einen Schlag zu einer Art Euro des Mittelalters: zur universalen Währung mit einheitlicher Unterteilung. Die Formel lautete: ein Pfund gleich 20 Schillinge, ein Schilling gleich zwölf Silberpfennige. Französisch hiessen die Schillinge sous, die Pfennige deniers. Das Pfund, die grösste Währungseinheit, war dabei wörtlich zu nehmen: Das karolingische Gesetz besagte, dass aus einem sogenannten Karlspfund, etwas mehr als 400 Gramm Silber, exakt zwanzig Schillinge oder 240 Pfennige zu schlagen seien.

Das Pfund als Gewichtsmass kennt der Volksmund auch heute noch. Als Währung aber, unterteilt in Schillinge und Pfennige, ging es ab 1795 unter, als das revolutionäre Frankreich den Franc à 100 Centimes einführte. Nach und nach fand ganz Europa zur modernen Dezimalteilung: die Schweiz zu Franken und Rappen, Deutschland zu Mark und Pfennig, Italien zu Lira und Centesimo, Österreich zu Gulden und Neukreuzer, später zu Krone und Heller, am Ende zu Schilling und Groschen.

Ganz Europa? Nein! Eine von unbeugsamen Briten bevölkerte Insel hörte nicht auf, dem dezimalen Eindringling Widerstand zu leisten. In England war das Pound zu 20 Shillings oder 240 Pence bis zum 15. Februar 1971 die gängige Währung, was Reisende vom Kontinent zur schieren Verzweiflung trieb. Danach aber war auch in England Schluss: Das Pfund gibt es zwar immer noch, aber heute zu ebenfalls dezimalen 100 Pence.

Nicht nur dem Pfund, sondern auch dem Schilling sollte ein langes Leben beschieden sein: Bis zur Einführung des Euro am 1. Januar 1999 blieb er die offizielle Währung Österreichs. Den Schilling kennen bis heute Kenia, Somalia, Tansania und Uganda. Und auch seinen französischen Namensvetter, den Sou, gibt es immer noch, wenngleich nicht mehr als Werteinheit, sondern als Synonym für eine kleine Münze.